Dunkle Wolken über ANATEVKA – das Musical im Staatstheater Darmstadt

violine - photo by p4d
Die Premiere des Musicals ANATEVKA am 12.06.2010 in Staatstheater Darmstadt lockte die Besucher aus dem schwülen Sommerabend in ein ausverkauftes Haus.
Das Musical nach dem Roman „Tewje, der Milchmann“ von Scholem Aleichem (Schalom Yahow Rabinowitsch, 1859 -1916) wurde 1964 unter dem Titel “Fiddler on the Roof” am Broadway in New York uraufgeführt.
Im russischen Dorf Anatevka lebt um 1905 der arme Milchbauer Tewje mit seiner Frau Golde und seinen fünf Töchtern in einer traditionsbewußten jüdischen Gemeinschaft.
Trotz der unsicheren Zeit im vorrevolutionären Zaren-Russland mit drohenden Pogromen bestimmen Freude und Optimismus das Leben der Familie. Tewje plant die Zukunft seiner heiratsfähigen Töchter Zeitel, Hodel und Chava. Als diese jedoch ihre eigenen Wunschkandidaten präsentieren und gleichzeitig der politische Druck zunimmt, gerät seine Welt aus den Fugen.
Das erste Bild zeigt Tewje vor seinem Häuschen auf dessen Dach ein Geiger spielt. „Ein Geiger auf dem Dach … verrückt nicht wahr? In unserer kleinen Stadt ist jeder ein Geiger auf dem Dach, der eine unauffällige, einfache Melodie zu spielen versucht, um nicht im gewaltigen Strom des Lebens unterzugehen. Das ist bei Gott! nicht leicht. Nun werden Sie natürlich fragen, warum wir hier bleiben, wenn das Leben doch so gefährlich ist … wir bleiben, weil Anatevka unsere Heimat ist! Wie wir hier überleben können? Ich sag’ s mit einem einzigen Wort: Tradition!“
Diese Tradition und damit die Sicherheit in der sich die Menschen von Anatevka wiegen, zerfällt im Verlauf des Musicals immer mehr. Die Zeiten sind ungewiss, die neue Generation bricht mit den alten Regeln, das Dörfchen bietet nicht mehr den Schutz der Gemeinschaft, der freundliche russische Hauptmann wird zum Feind.
Das traurige Ende mit der Vertreibung durch die Truppen des Zaren wird nur gemildert durch den Geiger, der im letzten Moment auf den Fluchtwagen aufspringt: ein Stück Heimat – ein Stück Tradition – fährt mit in die neue Welt.
John Dew zieht die Parallele zur NS-Zeit spätestens mit dem Klirren von Scheiben im Off, das an die Kristallnacht gemahnt. Auch das düstere, gewohnt karge und dennoch sehr überlegte Bühnenbild suggeriert die dauerhafte Bedrohung und nimmt die gedeckten Farben der historischen Kostümierung wieder auf.
Monte Jaffe spielt den Tewje mit Herz und Seele. Das Publikum folgt ihm jede Sekunde. Seine Zwiegespräche mit Gott, seine Überlegungen zu den Vor- und Nachteilen der jeweiligen Heiratskandidaten für seine Töchter, seine immer optimistische Art machen ihn verdientermaßen zum Star des Musicals.
Monika Mayer füllt die Rolle seiner Ehefrau Golde mit der nötigen Autorität, die Töchter spielen und singen ihre Parts aufmüpfig bis anrührend. Stefanie Theiss überzeugt als Heiratsvermittlerin Jente, die doch nie zum Zug kommt.
Hervorragend auch die Tänzer und der Chor in den Massenszenen.
Das Premierenpublikum bedankte sich mit brandendem Applaus und Bravo-Rufen für eine gelungene Inszenierung und die grandiose Leistung der Darsteller.
Masel tov für die weiteren Aufführungen!

Susannah V. Vergau


Buch von Joseph Stein | Musik von Jerry Bock | Gesangstexte von Sheldon Harnick | Deutsch von Rolf Merz und Gerhard Hagen
Musikalische Leitung | Bartholomew Berzonsky
Inszenierung | John Dew
Choreografie | Anthoula Papadakis
Bühne | Heinz Balthes
Kostüme | José-Manuel Vázquez
Choreinstudierung | André Weiss
Monte Jaffe (Tewje), Monika Mayer (Golde), Anja Vincken (Zeitel), Margaret Rose Koenn (Hodel, Oma Zeitel), Susanne Serfling (Chava), Aki Hashimoto (Sprintze), Stephanie Theiß (Jente), Lucian Krasznec (Mottel Kamzoil), David Pichlmaier (Perchik), Sven Ehrke (Fedja), Stefan Steinbauer (Mendel), Gabriela Fliegel (Schandel), Malte Godglück (Lazar Wolf), Lawrence Jordan (Rabbi), Bernd Kaiser (Fruma Sarah), Christopher Ryan (Motschach), Werner Volker Meyer (Awram), Radoslav Damianov (Nachum), Alin Codreanu-Ariesanu (Jussel), Georg Heckel (Wachtmeister), Isabel Aguilera (Fiedler auf dem Dach), Wiktor Czerniawski (Erster Mann), Barbara Haber (Erste Frau), Gundula Schulte (Zweite Frau), Florence Bonnefont (Dritte Frau), Franka Eiche (Bielke)
Tänzer: Lee Bamford, Peter de Grasse, Wout Geers, László Kocsis, Celedonio Indalecio Moreno Fuentes, Leonardo Rodrigues Santos

Copyright © Susannah V. Vergau

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